Warum gibt es FGM/C überhaupt?

Die soziokulturellen Gründe, weshalb weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird, unterscheiden sich von Region zu Region und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft. Oftmals hat die Beschneidung eine lange Tradition und ist fest in der Kultur verankert. Ihren Ursprung hat die weibliche Genitalbeschneidung jedoch stets in bestimmten Vorstellungen von Weiblichkeit und Sexualität. Einen medizinischen oder religiösen Grund für FGM/C gibt es nicht.

Gründe für die weibliche Genitalbeschneidung

Tradition

Die weibliche Genitalbeschneidung stellt in den praktizierenden Gemeinschaften eine tief verankerte Tradition dar, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die Beschneidung ist fester Bestandteil der kulturellen Welt und symbolisiert ein Bekenntnis zu den Werten der jeweiligen Gemeinschaft. Bisweilen ist die Beschneidung ein feierlicher Initiationsritus, bei welchem ein Mädchen zur Frau wird.

Die Verankerung in der Tradition ist einer der Gründe, warum es oftmals schwierig ist, etwas daran zu ändern. Mit einem alten Brauch zu brechen, kann als Ablehnung der Kultur und als Affront gegenüber der Gemeinschaft aufgefasst werden. Entsprechend emotional können die Reaktionen ausfallen.

Ökonomische und soziale Gründe

In vielen Gemeinschaften ist die Beschneidung nach wie vor eine Voraussetzung, dass eine Frau Teil der Gesellschaft sein kann. Die Genitalbeschneidung zählt zur sozialen Norm und ist Teil der Erziehung, um Mädchen auf das Erwachsenwerden und die Ehe vorzubereiten. Häufig sind beschnittene Genitalien eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt heiraten zu können. Weil Frauen in den betroffenen Regionen oftmals wirtschaftlich von Männern abhängig sind und die Familie bisweilen auf das Brautgeld angewiesen ist, riskieren Eltern sehr selten, ihre Töchter unbeschnitten zu lassen.

Medizin

FGM/C hat schwerwiegende körperliche und psychische Folgen und bringt keine gesundheitlichen Vorteile. Dennoch berufen sich manche praktizierenden Gemeinschaften auf medizinische Mythen. So besteht zum Beispiel die Vorstellung, dass die Klitoris ein gefährliches Organ sei, das den Ehemann beim Geschlechtsverkehr oder das Kind bei der Geburt tödlich verletzen könnte, wenn es berührt werde. In anderen Gemeinschaften wird befürchtet, dass die weiblichen Genitalien ohne Beschneidung stetig weiterwachsen könnten. Auch existiert der Aberglaube, dass unbeschnittene Frauen unfruchtbar sind.

Ästhetik

In vielen Gebieten, in denen FGM/C verbreitet ist, werden beschnittene Genitalien als normal erachtet. Entsprechend gilt eine nicht beschnittene Vulva oftmals als unästhetisch, abstehende Teile wie die Labien werden als unnötige und hässliche Überbleibsel gesehen. Die Beschneidung kommt somit einer Verschönerung der Genitalien und einer Anpassung an die Norm gleich.

Sexualität

FGM/C ist in der Regel ein Akt der Unterdrückung und Kontrolle der weiblichen Sexualität. Eine Genitalbeschneidung kann die Libido stark einschränken und unter anderem verhindern, dass die betroffene Frau einen Orgasmus erleben kann. Auch wird der Geschlechtsverkehr umständlich und kompliziert. Mit der Beschneidung soll somit gewährleistet werden, dass eine Frau vor der Heirat keine sexuellen Beziehungen hat und somit jungfräulich in die Ehe geht, was wiederum die Ehre der Familie bewahrt. Zudem soll sichergestellt werden, dass die Frau ihrem Mann während der Ehe treu bleibt. Ausserdem existiert in manchen Regionen die Vorstellung, dass durch die beschnittenen Genitalien der Frau der Lustgewinn und die sexuelle Befriedigung des Mannes gesteigert wird.

Religion

FGM/C wird in christlichen, muslimischen, jüdischen und anderen Religionsgemeinschaften praktiziert. Oft wird fälschlicherweise behauptet, die weibliche Genitalbeschneidung sei in der Religion begründet. Doch weder im Islam noch im Christentum, im Judentum oder anderen Religionen existieren Schriften, die eine Beschneidung der weiblichen Genitalien verlangen. Ausserdem wurde die weibliche Genitalbeschneidung schon in einem Papyrus in Ägypten, circa 163 v. Chr. erwähnt – also vor der Entstehung der grossen Weltreligionen.

Durchführung einer Beschneidung

Häufig finden weibliche Genitalbeschneidungen ausserhalb von medizinischen Einrichtungen unter unhygienischen Bedingungen statt. Bei einer traditionellen Durchführung werden die Mädchen in der Regel nicht narkotisiert und leiden deshalb an starken Schmerzen, die oftmals so massiv sind, dass sie von mehreren Erwachsenen festgehalten werden müssen oder das Bewusstsein verlieren. Oftmals wird das Ertragen der Schmerzen als wichtiger Teil der Zeremonie angesehen.

Instrumente

Als Werkzeuge kommen Messer, Rasierklingen, Scheren oder Glasscherben zum Einsatz. Diese werden häufig bei zahlreichen Beschneidungen angewendet und nicht fachgerecht desinfiziert, was das Infektionsrisiko und die Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten, HIV und anderen Krankheiten erhöht. Bei einer Infibulation (Typ III) werden die Beine des beschnittenen Mädchens nach dem Eingriff häufig von der Hüfte bis zu den Knöcheln zusammengebunden, damit die Wunde heilen kann – teilweise für bis zu 40 Tage.

Beschneiderinnen

In den Gemeinschaften, in denen FGM/C zur Tradition gehört, ist der Beruf der Beschneiderin hoch angesehen und sichert der ausführenden Person und ihrer Familie ein relativ hohes Einkommen. Oft gibt es in einer Gemeinde nur eine oder zwei Beschneiderinnen, welche von den Familien im Dorf beauftrag werden, die Mädchen zu beschneiden.

Medikalisierung

In einigen Ländern wird FGM/C mittlerweile auch häufig durch medizinisches Personal vorgenommen, auch erhalten die Mädchen vermehrt eine Betäubung. Diese sogenannte Medikalisierung ändert jedoch nichts an den gesundheitlichen Folgen oder daran, dass FGM/C eine schwere Menschenrechtsverletzung ist. Entsprechend lehnt auch die WHO die Medikalisierung klar ab.

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Genitalbeschneidung
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